abenteuer-ruhrpott.info Aktuelles abenteuer-ruhrpott.info
Freizeittipps
Veranstaltungen
Ausstellungen
Bücher / Musik
Kontakt
Impressum
Schauspiel 'Mit anderen Augen' im Schauspielhaus Bochum
Mit dem fulminant inszenierten Schauspiel “Mit anderen Augen“ thematisiert das Schauspielhaus Bochum ein Thema, das für uns Sehende kein alltägliches ist. Es geht um Sehbehinderte und blinde Menschen. Wie nehmen sie auf ihre Art die Umwelt wahr? Songs, Texte, Bildern, Klänge und Sinneseindrücke kommen zusammen und bilden eine ganz feine, sensible Theatercollage, ein echtes Zuckerstückchen. Regie führte Selen Kara.

Wir leben in einer bunten und hektischen Welt, in der sehbehinderte Menschen oftmals völlig vergessen werden. Trifft mal mal jemanden mit einem Blindenstock, so kann man sich überhaupt nicht vorstellen, wie man sich im komplizierten Alltag auf diese Art orientieren kann. In Bochum bekommt man nun eine rundum gelungene Sensibilisierung in 90 Minuten.

Zunächst wird das Publikum verdunkelt, sitzend vor einem schwarz schimmernden Bühnenabtrennung. Dahinter versammeln sich acht Akteure, vier SchauspielerInnen und vier Musiker. Man hört sie sprechen, sieht sich aber noch lange nicht. Sie erörtern die Problematik und beginnen zu singen, im Stile eines Live-Hörspiels. Songs wie „Sound of silence“ (Simon & Garfunkel), „In my life“ (Beatles) oder „Is anyone out there“ von Ray Charles führen, sehr gut gesungen und fein begleitet, in das Thema ein. Irgendwann lüftet sich der Vorhang und es ist nur noch eine Milchglasfolie zu sehen, durch die die Akteure unscharf durchschimmern. Die Szenerie entwickelt sich, bis schließlich alle als Silhouetten im fahlen, farblosen Gegenlicht auf der Bühne zu sehen sind, zumindest für die mit den Augen sehenden Gäste. Die sehbehinderten Gäste bekommen von jedem Akteur eine Audiodeskription mit besonderen Merkmalen. Dabei stellt sich heraus, dass der Pianist und Akkordeonspieler selbst blind ist, eine besonders große Leistung.

Wie ist es nun sehbehindert zu sein und wie kann das passieren? Manchmal ist der Prozess schleichend und schmerzlich. Erst verliert man die Farbe, dann das komplette Augenlicht. Zunächst hat man noch bekannte Gesichter gespeichert, doch die unbekannten werden unweigerlich mehr. Selbst sein eigenes Aussehen verblasst in der Erinnerung. Das Aussehen wird völlig unwichtig, denn die Stimme mit all ihren Klangfarben wird zum wichtigsten Erkennungsmerkmal, trifft man auf unbekannte Mitmenschen. Probleme bereiten die natürlichsten Dinge, wie ein Lächeln. Als Blinder erfährt man kein entgegnendes Lächeln als optische Bestätigung. Wir müssen noch stärker lernen mit der Stimme zu lächeln, als während der Pandemie sowieso schon. Dafür hört man als Blinder den Wind schon von weit her und erkennt an aufkommenden Regentropfen akustisch, welche Materialien sich in der Nähe befinden, egal ob Stein, Metall oder Glas. Selbst jede Welle am Strand klingt anders. Für Sehende rauscht das Meer lediglich. Die akustischen Sinneseindrücke sind bei Blinden extrem geschärft. Die Tatsache mit anderen Sinnen zu sehen, als mit den Augen, wird hervorragend transportiert.

Der Abend lebt immer wieder von Gesangseinlagen, die wunderbar dargeboten werden. Mit Michael Lippold, Karin Moog, Anne Rietmeijer und Romy Vreden hat man Akteure im Ensemble, die mit ihrer Stimme singend jede Menge anfangen können und auch merklich Lust auf der Bühne versprühten. Man harmoniert hervorragend. Besonders Romy glänzt mit ihrer schwarzen Soul-Stimme, einfach klasse. Hinzu kommen Volker Kamp, Torsten Kindermann, Jörg Siebenhaar und Jan-Sebastian Weichsel an den zahlreichen Instrumenten, was Gesangseinlagen nicht ausschließt. Wie fein sie Songs wie „True Colors“ (Cindy Lauper), „Grace Kelly (Mika), „Hit the road Jack“ (Ray Charles), „Der Wind“ (Blumfeld) oder das wunderbare „La mer“ (Charles Trenet) auf die Bühne bringen ist absolut sehens- und hörenswert. Gänsehaut ist bei dieser besonderen Atmosphäre im Saal nicht ausgeschlossen, eher wahrscheinlich.

Das Premierenpublikum spendete begeisternd Standing Ovation, was zu einer Zugabe führen musste. Es war wirklich ein sehr außergewöhnlich stimmungsvoller Abend mit einem sonst vergessenen Thema, den man sich gut und gerne auch zweimal gönnen könnte.

Hervorzuheben sind zwei interessante Dinge. Die Fotos dieses großartigen Stücks stammen von der blinden Fotografin Silja Korn, die mit Langzeitbelichtungen und einer Taschenlampe ihre außergewöhnlichen Motive einfängt (siehe unten). Wer nicht ohne den wundervollen Soundtrack leben möchte, der kann für ihn für 10,- Euro im Theater vorbestellen, bzw. mit nach Hause nehmen. Es lohnt sich.

Datum: 12. Februar 2022

www.schauspielhausbochum.de