Mit dem Ballett „Surrogate Cities“ hat der scheidende Ballettchef Demis Volpi beim Ballett am Rhein in Düsseldorf ein Meisterwerk auf die Bühne gezaubert. Einfach großartig, mehr muss man kaum sagen. Es ist ein Auftragswerk von 1994 für die 1.200-Jahr-Feier der Stadt Frankfurt am Main. Der Mensch im seinem urbanen Raum ist grob gesagt das große Thema dieses Abends. Heiner Goebbels erschuf die Komposition, die aus sieben Teilen besteht. Sechs davon bilden nun die Düsseldorfer Version dieses Werks. Gefühlt ist es eine Klangkollage mit den Düsseldorfer Symfonikern auf der Bühne. Man hört und sieht die Entstehung der Töne, was außergewöhnlich ist. Dieser Musikzyklus nimmt die Geräusche des Alltags in unseren Städten auf, interpretiert sie und fügt sie zu einem Klangkunstwerk grandios zusammen. Wie leben wir im von uns erschaffenen, städtischen Umfeld, wie beeinflusst es uns? Sind wir eine funktionierende Gemeinschaft oder doch nur einsam vegetierende Individuen? Ergänzt werden die instrumentalen Klänge durch Gesang. Die Sopranistin Tamara Lukasheva meistert die schwierige Partitur ausgezeichnet. Die musikalische Leitung hat Vitali Alekseenok. Bereits der Beginn ist außergewöhnlich. Die Bühne ist menschenleer, samt des Orchesters. Ein erster Tänzer betritt die Bühne und auch die Musiker nehmen ihre Plätze ein. Die restlichen TänzerInnen erscheinen und dann werden die Ohren schnell ganz groß. Der Soloposaunist Matthias Muche holt sensationelle Töne aus seinem Instrument, z.B. Wind, Hupen, einen Helikopter oder einen Presslufthammer. Ein Tänzer interpretiert parallel sehr passend die Alltagstöne. Emilia Peredo Aguirre ist tänzerisch alleine mit einer Sonnenbrille unterwegs, wie ein Vogel, der sich frei in den Häuserschluchten bewegen darf und kaum wahrgenommen wird. Man fragt sich schnell, wo man hier künstlerisch gelandet ist und sucht nach Antworten. Es entwickelt sich eine gar nicht in ihrer Gänze zu erfassende Bilderwelt, die wahnsinnig viele Reize bietet, neben den jazzig-souligen Tönen des Orchesters und den Weltklasseleistungen der TänzerInnen. Das Auge ist schlichtweg überfordert. Alles Bekannte wird genial aufgebrochen und fast schon surreal wieder zusammen gesetzt. Stahlelemente der Bühne suggerieren das Urbane, eine Wolke die Leichtigkeit oder weiße Papierflieger die Vogelwelt der Stadt. Man vernimmt Maschinengeräusche, während sich die TänzerInnen wie Roboter bewegen. Ist das eine neue Version von Fritz Langs „Metroplis“, ein live dargebotener Stummfilm mit urbanen Tönen? Ein ganz normales Ballett ist es ganz sicher nicht, eher eine Wunderwelt aus Tönen, Sprache, Schritten, Bewegungen und teilweise Gänsehaut. Kurz, ein sensationeller Wahnsinn für Ohren und Augen. Dieses Werk ist seiner Gesamtheit so unglaublich fassettenreich, dass die Sinne überhaupt nicht in der Lage sind, alles zu begreifen. Jeder darf gerne seine eigene Sichtweise entwickeln. „Surrogate Cities“ ist ein faszinierendes Gesamtkunstwerk. Zu empfehlen sind definitiv die Einführung im Foyer und das Programmheft, um die spannenden Hintergründe nachzuvollziehen, denn es steckt so viel mehr dahinter, als nur das Akustische und Optische. Datum: 9. Mai 2024 www.operamrhein.de |
Ballett 'Surrogate Cities' im Ballett am Rhein in Düsseldorf, Foto: Bettina Stöß nächstes Foto |