Das Ballett am Rhein präsentiert die großartig gelungene Uraufführung „A kiss to the world“ von der kanadischen Choreografin Dominique Dumais. Die Inszenierung überzeugt thematisch, musikalisch wie auch szenisch auf ganzer Linie. Was ist ein Kuss? Lippen berühren das Gesicht eines gegenüber. Wie viel mehr ein Kuss bedeuten kann, das zeigt dieser hervorragende Abend. Wie leben in einer Gesellschaft, wo man sich als Individualist gerne einen Panzer anzieht. Schlechte Nachrichten und Erfahrungen, der Angst bereitende technologische Fortschritt und allgemeine Unsicherheit lassen vor zu viel Offenheit und individueller Emotionalität zurückschrecken. Unsere Gesellschaft wirkt grau, kalt und wenig lebenswert. Genauso ist der erste Akt bewusst gestaltet. Die Flucht in Betonoptik mit grauen Anzügen bietet Schutz für Unwägbarkeiten. Arme und Hände zittern. Lieber geht man auf Abstand und dreht sich freiwillig unglücklich im Kreis. Vertrauen ist der Weg hinaus, etwas zu verändern, aber auch Verletzlichkeit zuzulassen. Auf der Bühne bemerkt man langsame Veränderungen. Erste Individuen brechen aus, andere folgen. Das Innenfutter der grauen Anzüge ist schließlich rot und setzt ein Zeichen. So kommt es zu ersten Berührungen, ein erster Kuss durch einen Stoff. Wunderbar spielt man mit leichten Stoffbahnen, die rotieren und sehr geschickt ins Licht gesetzt sind. Davor werden die Annäherungen immer intensiver. Man erlebt unglaublich poetische Pas de Deux, zum mit der Zunge schnalzen. Erst ist ein Klangbett aus Streichern, dann nur noch eine herrlich tönende Violine (Sebastian Bürger). Besser kann man diese Szenen kaum begleiten, so poetisch-melancholisch sind diese zarten Momente der Berührung. Mit Bogdana Bevzuik steht selbst eine Live-Sopranistin auf der Bühne. Fragt man das Kopfkino, klingt dies eher wehmütig nordisch, wunderbar nach Weite und karger Landschaft. Jeder hat hier vielleicht seine eigene Assoziation. Nach der Pause wechseln die Kostüme zu Rot. Es wird emotional, teilweise bewegen sich die Akteure quer durcheinander über die Bühne. Schlaginstrumente bestimmen plötzlich den Takt. Man kommt sich nahe. Hier steht der Kuss für körperliche Erregung und Leidenschaft. Naturelemente nehmen den Raum ein. Der Herbst lässt farbig das Laub fallen. Das Leben kehrt ein und die symbolischen Panzer werden abgelegt. Die Wandlung wird insgesamt sehr gut sichtbar und nachvollziehbar dargestellt. Musikalisch glänzen die Düsseldorfer Symphoniker unter Leitung von Jason Tran mit einer Kollage von Werken, darunter Haydn, Mozart, Beethoven, Händel, aber auch Aleksandra Vrebalov, Patrick Watson oder Samuel Barber. Die Zusammenstellung der verschiedensten Werke überzeugt, ist absolut stimmig und trifft die jeweiligen Stimmungen des Geschehens. Tänzerisch gibt es an der Leistung der 21 TänzerInnen wirklich nichts zu meckern. Sie überzeugen als Gruppe, als Pas de Trois, als Pas der Deux oder solo. Die Abwechslung tut gut, wirkt dynamisch. Die Bühne bietet genügend Auf- und Abgänge für neue Szenen. Auch die Körpersprache stimmt, wirkt spielerisch leicht und ist doch höchste Anstrengung. Auf den ganz großen Kuss verzichtet man allerdings. Am Ende geht man einfach hinaus in die Nacht, auch eine gewisse Assoziation. Zu viel sichtbare Erotik auf der Bühne wäre auch nicht von Vorteil. Datum: 8. Februar 2024 www.operamrhein.de |
Tanzabend 'A kiss to the world' vom Ballett am Rhein, Foto: Ingo Schäfer nächstes Foto |