Mit dem schönen Musical „The Story of my Life“ von Neil Bartram und Brian Hill thematisiert das Musiktheater im Revier im schönen Foyer das Verhältnis der Menschen zueinander und den Umgang mit dem Verlust, wenn einer für immer geht. Wie soll man es in einer Trauerrede formulieren? Gar nicht so einfach. Der Stoff ist mitten aus dem Leben. Plötzlich kommt oft völlig unvorbereitet. Alvin und Thomas versprachen sich in der Schule, dass sie sich gegenseitig die Trauerrede schreiben werden, wer auch immer wann zuerst gehen wird. Das war mit Zwölf. Man redet über den Verstorbenen schließlich immer gut, nur dass bei ihnen der Ernstfall in jungen Jahren schon eintreten wird, damit hat Thomas, inzwischen ein gefeierter Bestseller-Autor, nicht gerechnet. Das MiR hat den Ort des Musicals bewusst ins Foyer des Hauses gelegt und eine Extra-Tribüne aufgebaut, umrahmt von den Wandreliefs eines Yves Klein, der ebenfalls früh starb. Hier ist man dem Geschehen als Zuschauer sehr nahe. Man hat sogar den Eindruck, dass die beiden darstellenden Sänger, Sebastian Schiller und Benjamin Lee, dem Publikum bewusst näher kommen. Das erweiterte Kammerorchester der Neuen Philharmonie Westfalen, unter der Leitung von Mateo Peñaloza Cecconi, spielt neben der Tribüne. Die Konstellation des Ortes ist genauso ungewöhnlich wie das Thema des Musicals, insgesamt als Dialog ziemlich intensiv dargeboten. Die beiden Akteure stehen sich im Dies- und Jenseits zugleich gegenüber. Während Thomas versucht eine passende Trauerrede zu formulieren, liegt Alvin ihm als geistige Stimme im Ohr, ist mal Ratgeber, mal Quälgeist. Gemeinsam erlebte Geschichten sollen es sein, die Alvin gerne über sich hören würde. Vorschläge liefert er genügend. Mal sind es Schulerlebnisse, mal der Buchladen von Alvins Vater, Thomas Bewerbung am College oder Erlebnisse im Schnee oder an Weihnachten. In ihrer Kinder- und Jugendzeit haben sie jede Menge gemeinsam erlebt. Mit der Zeit am College trennten sich die Wege mehr und mehr. Thomas wurde zum Autor, Alvin betrieb den vom Vater geerbten Buchladen weiter, bis zum plötzlichen Tod von Alvin. Die Good-Byes häuften sich und man verlor sich aus den Augen. Selbst die Verlobte gab Thomas den Laufpass. Sein Versuch, geordnete Lebensverhältnisse zu schaffen, scheiterte. Schreiben ist eine einsame Arbeit. Verkopfte Gedanken treffen auf beinahe kindliche Fantasie. Als bekannter Bestseller-Autor hat Thomas einiges an Ruf zu verlieren. Von ihm erwartet man besonders wohl formulierte Sätze, doch die Schreibblockade hat ihn erfasst. „Schreib, was du weißt!“, bekommt er als Ratschlag, doch als Star der Autorenszene sucht man nach einem Konzept, um die Worte kompliziert in Fassung zu bringen. Einfach nur Geschichten erzählen kann doch jeder. Zum Ende hin drehen sich die Rollen um. Der Künstler der Worte der Worte muss erkennen, dass der wahre Künstler Alvin ist, der sein Leben immer etwas neben dem Mainstream im Abseits gemeistert hat, bis eben zu dem Tag, der in der Handlung nur angedeutet wird. Höchstwahrscheinlich war Alvins Tod kein natürlicher. Ein ungewöhnlicher Ort, ein außergewöhnliches Thema für ein Musical und zwei gut aufgelegte Akteure, die sich gekonnt der Thematik annehmen, insgesamt ein Abend der einen selbst dazu bringt, sich ebenfalls mal Gedanken über eine Trauerrede zu machen. Schicksale treffen einen oft schneller als man denkt. Datum: 20. April 2024 www.musiktheater-im-revier.de |
Musical 'The Story of my life' im Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen, Foto: Sascha Kreklau nächstes Foto |